Reform des Sozialen Entschädigungsrechts (SER)

derzeitig noch Opferentschädigungsgesetz (OEG)

Am 7. November 2019 hat der Bundestag das neue Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV-E) beschlossen. Das Gesetz geht Ende November noch in den Bundesrat und wird dort verabschiedet. Die allermeisten Regelungen des Sozialen Entschädigungsrechts sollen allerdings erst zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Hier die wichtigsten Regelungen, Veränderungen und Verbesserungen im SER, zusammengefasst von unserem Bundesverband:

• Inkrafttreten erst ab 2024 (§138)

Die allermeisten Regelungen des neuen Gesetzes treten erst im Jahr 2024 in Kraft. Das wurde vom bff und vielen weiteren Verbänden stark kritisiert, da diese lange Zeit zwischen Beschlussfassung und Inkrafttreten zum Nachteil von Betroffenen von Gewalt ist. Im Gesetz ist außerdem festgelegt, dass die Rechtslage zum Tatzeitpunkt herangezogen wird. Das bedeutet für Betroffene, die bis zum 1. Januar 2024 geschädigt werden oder wurden, dass sie einen Anspruch nach dem aktuell geltenden Recht (OEG) nachweisen müssen. Das gilt auch dann, wenn der Antrag erst 2024 oder später gestellt wird.
Auch das kritisiert der bff. Einzelne ausgewählte Regelungen des Gesetzes treten früher in Kraft, so der Anspruch auf Leistungen in Traumaambulanzen ab 2021, die Gleichsetzung von deutschen und nicht-deutschen Staatsangehörigen rückwirkend ab 2018.

• Erweiterung des Gewaltbegriffs (§ 13)

Nach dem neuen SGB XIV-E sind auch Betroffene von psychischer Gewalt anspruchsberechtigt, was vorher nicht der Fall war. Psychische Gewalt ist dann entschädigungswürdig, wenn sie eine gewisse Schwere aufweist. Dafür werden Beispiele genannt, darunter u.a. Menschenhandel und schweres Stalking. Unter psychischer Gewalt gefasst sind im neuen Gesetz auch alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (das heißt Sexualstraftaten nach §§ 174-176b, 177, 178 StGB).
Das ist eine deutliche Verbesserung, die aufgrund des großen politischen Drucks vieler Verbände aufgenommen wurde. Das war zugleich eine zentrale Forderung des bff.

• Aufnahme einer Vermutungsregel/ bestärkte Wahrscheinlichkeit (§ 4)

Bisher mussten Antragsstellende, um einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach dem OEG zu haben, die Tat und die doppelte Kausalität zwischen Tat und Schädigung und Schädigung und Schädigungsfolge beweisen. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass die Versorgungsverwaltung eine Entschädigung bei psychischen oder psychosomatischen Gesundheitsstörungen häufig abgelehnt hat. Gewaltbetroffene Frauen sind regelmäßig an der doppelten Kausalität gescheitert. Das neue SGB XIV-E sieht eine Erleichterung beim Nachweis der doppelten Kausalität vor, es wurde eine so genannte Vermutungsregel eingeführt. Die Vermutungsregel (oder bestärkte Wahrscheinlichkeit) besagt, dass die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Tat, Schädigung und dem Auftreten von dauerhaften Störungen in bestimmten Fällen vermutet werden soll. Das stellt eine deutliche Verbesserung dar, allerdings wurde diese beschränkt auf psychischen Gesundheitsstörungen.
Der bff kritisiert diese Einschränkung, weil wir befürchten, dass damit psychosomatische Folgen von Gewalt nicht erfasst sind.

• Verbesserungen für Betroffene von häuslicher Gewalt (§ 16 und 17)

Positiv ist, dass im neuen Sozialen Entschädigungsrecht nicht mehr ausdrücklich die Bedingung einer Strafanzeige aufgeführt ist, was sowohl für Betroffene häuslicher als auch sexualisierter Gewalt relevant ist. Stattdessen sollen Betroffene das ‚Mögliche und Zumutbare‘ zur Sachverhaltsaufklärung beitragen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob eine Mitwirkung im Sinne einer Strafanzeige für die Betroffene zumutbar ist oder nicht. Es gibt außerdem weitere neue Regelungen für Betroffene von Gewalt in Partnerschaften. Bisher haben sie sehr oft aufgrund von ‚Unbilligkeit‘ oder ‚Mitverursachung‘ keine Leistungen erhalten, weil sie sich nicht/zu spät getrennt haben oder zum gewalttätigen Partner zurückgekehrt sind. Das neue Gesetz sieht vor, dass Betroffene von häuslicher Gewalt wegen Verbleib beim oder Rückkehr zum gewalttätigen Partner nicht grundsätzlich Leistungen ausgeschlossen sein sollen, sondern nur, wenn sie das schädigende Ereignis in „vorwerfbarer Weise“ verursachen. Es sollen Einzelfallprüfungen vorgenommen werden. Leider können aber weiterhin Leistungen wegen Unbilligkeit versagt werden – das kritisiert der bff.
Der bff hatte gefordert, dass die so genannte Unbilligkeit deutlich auf Fälle begrenzt wird, in denen die Gewalttat aufgrund des Begehens schwerer Straftaten der später geschädigten Person verübt wird. Ob diese Veränderungen tatsächlich den gewaltbetroffenen Frauen zugutekommen, wird entscheidend von der Auslegung durch die Versorgungsämter abhängen. Der bff fordert deswegen Schulungen für Mitarbeitende der Versorgungsämter.

• Schnelle Hilfen und Traumaambulanzen (Kapitel 4)

Im neuen Sozialen Entschädigungsrecht sind schnelle Hilfen verankert. Darunter gefasst sind ein Fallmanagement und Traumaambulanzen. Traumaambulanzen sollen bundesweit flächendeckend eingerichtet werden, laut Gesetz bis 2021. Der Antrag auf Leistungen in einer Traumaambulanz muss nach der 2. Sitzung gestellt werden. Leistungen in einer Traumaambulanz können 12 Monate nach dem Ereignis oder der psychischen Belastung in Anspruch genommen werden, d.h. dann, wenn das Ereignis länger zurückliegt. Für Erwachsene sind 15 (+10) Sitzungen vorgesehen, bei Kindern und Jugendlich sind 18 (+10) Sitzungen vorgesehen. Außerdem ist die Möglichkeit von Kooperationsvereinbarungen mit Fachberatungsstellen gesetzlich festgeschrieben.

• Gleichstellung von Personen unterschiedlicher Nationalitäten

Im neuen SGB XIV-E sind Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit anspruchsberechtigt. Aber bei Gewalttaten im Ausland gelten spezielle Regelungen. Fazit: Vergleicht man das beschlossene Gesetz mit dem ersten Arbeitsentwurf, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Jahr 2017 vorgelegt hatte, sind insgesamt deutliche Verbesserungen erreicht worden.
Wir erhoffen uns, dass in Zukunft deutlich mehr Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt Leistungen erhalten können. Als Skandal bewerten wir das späte Inkrafttreten und dass es eine Rückwirkungsregelungen für so genannte Altfälle geben wird.